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Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© Nell-Breuning-Haus, Herzogenrath

 

 

Sende-Manuskripte

Interviews (Radiofeature von Axel Gauster)

in Herzogenrath/Deutschland Dezember 2015

 

 

Radiofeature Sendemanuskript Interview Natascha Gormanns-Bieker

Radiofeature Sendemanuskript Interview Nadine Nguyen

Radiofeature Sendemanuskript Interview Dr. Christina Hermann

Radiofeature Sendemanuskript Interview Norbert Heymann

Radiofeature Sendemanuskript Interview Norbert Klein

 

 

 

Fotos: Axel Gauster © 2016 Nell-Breuning-Haus/Axel Gauster

 

Interview mit Natascha Gormanns-Bieker

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Sende-Manuskript

Interview (Radiofeature von Axel Gauster) mit Interview mit Natascha Gormanns-Bieker in Herzogenrath/Deutschland Dezember 2015

 

 

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Es möchte einfach darauf aufmerksam machen: Es gibt psychosoziale Belastungen. Und das Wissen rein um Methoden wie Hobbys,Yoga, Entspannung und zu wissen, wie ein Burnout abläuft, dass bringt einen selbst nicht weiter. Ich finde es zielführender, wenn ich genau weiß, wie entstehen diese Probleme in meinem Kopf und wie kann ich denen begegnen. Die Menschen sollen befähigt werden dem entgegen zu treten, um Belastungen bei sich selber vorzubeugen. Denn ich selber kann viel mehr tun, als ich es vielleicht denke.

 

Sprecher:

Sagt Natascha Gormanns-Bieker, Betriebspädagogin vom Institut für Pflege und Soziales IPS. Sie befaßt sich mit dem Curriculum für das Gesamtprojekt 'Arbeitswelt 2020'. Also mit dem Lehrplan und den Lerninhalten auf dieser Schulungsveranstaltung Dezember 2015 in Herzogenath, Deutschland. Dabei bezieht sie die zwei Seiten der Pflegeberufe mit ein: Die zu betreuenden Menschen einerseits und die Menschen in den Pflegeberufen andererseits.

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Ich behandele Menschen die krank sind. Ich behandele Menschen mit Einschränkungen. Und ich behandele Menschen in einer besonderen Lebenssituation. Menschen die alt sind. Deren soziale Netze sind stark verkleinert. Menschen können nicht mehr so viel. Dieses Bewußtsein: 'Ich werde alt und meine Fähigkeiten gehen langsam verloren' – belasten die Menschen. Also die Alten selber.

 

Sprecher:

Und so entsteht es, daß Spannungsfeld zwischen helfen wollen und können und das Bewußtsein über die eigene Endlichkeit.

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Sie sehen viel Leid. Sie sehen viel Krankheit. Man wird sich auch der eigenen Endlichkeit bewußt. Man wird sich bewußt: Mir geht es irgendwann auch so. Das ist einerseits natürlich eine soziale Belastung. Andererseits ist es natürlich auch ein harter Beruf, wenn ich Menschen mobilisieren muß. Das Ganze unter Zeitdruck. Zwanzig Minuten vielleicht für eine Grundpflege. Wenn ich da jetzt richtig informiert bin. Alles muß tiptop erledigt sein. Und natürlich der Faktor, daß ich mit Menschen generell zusammen arbeite. Also auch im Team. Da gibt es viele Reibereien. Das darf man nicht unterschätzen. Also Altenpflege ist körperlich und geistig ein harter Beruf.

 

Sprecher:

Nun könnte man ja meinen, daß die Menschen, die in Altenheimen arbeiten, mit Sterben und Leid besser zurecht kommen. Ist das nicht so?

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Sicherlich wird es irgendwann zur Routine. Das man Tod und Sterben nicht mehr als so schlimm bewertet. Wie zum Beispiel ein Mensch, der noch nie mit einem sterbenden Menschen in Berühung gekommen ist. Man kann sicherlich auch davon sprechen, daß gewisse Menschen irgendwann – um das böse Wort zu nehmen – abstumpfen. Und es sie nicht mehr berührt. Aber ich denke schon: Wenn man nach Hause kommt und heute sind einem drei Patienten verstorben, das einen das schon irgendwo belastet. Irgendwo - denke ich – bleibt auch immer ein negativer Nachgeschmack, der sich dann irgendwann vielleicht auch psychisch auswirken kann. Weil es einfach zu viel geworden ist.

 

Sprecher:

Nun haben sie hier ein Modell vorgestellt, um die Menschen, die in diesen Berufen arbeiten, zu entlasten. Im Sinne der Salutogenese1). Also: Was hält mich gesund. Selbstanalyse, Strategien, Psychohygiene. Natascha Gormanns-Bieker.

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Es geht ja um die psychosozialen Belastungsfaktoren auf meiner Arbeit. Die Arbeit ist geistig und seelisch sehr anspruchsvoll, weil ich eben mit diesen schwierigen Themen konfrontiert werde. Große Ansatzpunkte und großes Potential für eine Fort- und Weiterbildung sehe ich in diesem Bereich der Psychohygiene.

 

Sprecher:

Psychohygiene – ein selbstsames Wort. Und es bedeutet ...

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

... das ich einen mentalen Ausgleich habe. Das ich mit mir selbst, meinen Emotionen und den Belastungen, denen ich begegne, im Einklang bin. Das ich mich nicht mehr so stark davon beanspruchen lasse, sondern das ich ein gesundes, mentales Gleichgewicht habe. Das ich mit Belastungen quasi gut klarkomme.

 

Sprecher:

Das Wort Psychohygiene2) wurde im Jahre 1900 von dem deutschen Psychiater Robert Sommer3) geprägt. Im Jahre 1896 gründete er die Psychiatrische Klinik Gießen. Ein gesundes, mentales Gleichgewicht im Leben zu finden, ist sicherlich nicht so einfach – wie es klingt. Aber man kann das lernen. Natascha Gormanns-Bieker

 

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Man kann Methoden erlernen, um in diesem Gleichgewicht zu bleiben. Das man einfach zum Beispiel in Achtsamkeit lebt. Das man in sich hinein horcht – was geht mit mir vor. Das man aber auch gewußt wahrnimmt – was geht draußen vor und was führt jetzt vielleicht zu einer Belastun bei mir. Wenn man das kennt, kann man dem viel gelassener und bewußter entgegen treten. Und dem entsprechend auch so handeln, daß es einen nicht mehr 'umhaut' oder das es zu einer seelischen Belastung kommt.

 

Sprecher:

Nehmen die Leute das wahr. Oder 'drücken' die sich. Wollen die damit nichts zu tun haben und gucken die nicht auf sich?

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Man ist einfach so viel von seiner Arbeit und von seinem Streß umgeben, daß man es erst merkt, wenn sich körperliche Beschwerden zeigen. Also oftmals natürlich dann, wenn es zu spät ist. Psychologische Themen sowieso sind immer sehr schwierig zu vermitteln. Die Leute denken dann immer gleich an 'Krank', an 'Psychiater', an 'Hilfe', an 'Schwäche zeigen'. Und wollen es oftmals nicht wahr haben beziehungsweise kommunizieren nicht, daß es ihnen schlecht geht. Weil man Angst hat abgestempelt zu werden -man ist psychisch krank. Und das ist heute leider immer noch ein Stigma.

 

Sprecher:

Diese Tabus werden erst nach und nach erkannt und dann aufgebrochen. Zum Beispiel zum Thema Depression.

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Auch wenn wir langsam mit dem Bekenntnis Prominenter 'Ich habe Depressionen' auf dem Weg in die richtige Richtung sind, darüber offen zu sprechen. Aber vielfach ist es so, daß man sich diese Schwäche selbst nicht eingestehen möchte. Und schon gar nicht vor dem Team eingestehen möchte. Weil man dann als der 'Schwächling' angesehen wird. Die hohen Fluktuationen in diesem Beruf, daß viele nach sechs Jahren aussteigen, irgendwo in eine andere Tätigkeit gehen, die nicht mehr direkt mit der Pflege zu tun hat – die Zahlen sprechen Bände. Da ist ein Problem, dessen wir uns bewußt werden müssen.

 

Sprecher:

In den Altenpflegeheimen bleiben oftmals viele ältere Menschen in ihrer letzten Stunde alleine. Keine Verwandten stehen ihnen zur Seite. Das pflegende Personal muß dann Zuneigung und Trost spenden. Natascha Gormanns-Bieker.

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Das ist sicherlich auch ein hoher Belastungsfaktor. Man möchte einerseits natürlich versuchen, diesen Menschen noch irgendetwas zu geben. Andererseits kann man es aber nicht. Weil dann die professionelle Distanz verloren geht. Weil man einfach nicht mehr die Zeit hat. Und das ist auch wieder ein Potential, wo man selbst in einen Konflikt kommt: Ich würde gerne aber ich kann nicht – und es ist so ungerecht – es müßte doch jemand kommen. Also das ist durchaus eine Quelle, die wieder zu psychischen Belastungen führen kann. Die Zeit ist einfach nicht da. Von den Pflegern. Es gibt natürlich noch Ehrenamtliche, die dort viel auffangen können. Aber Die Frage ist halt nur: Wieviel Ehrenamtler stehen zur Verfügung, um das auch zu machen.

 

Sprecher:

Nun ist es ja auch nicht so einfach für ehrenamtliche Hilfen – das Thema Sterbebegleitung.

 

O-Ton Natascha Gormanns-Bieker:

Ich stelle momentan fest - vor allem aus der Region, aus der ich komme – daß es aus der Hospizbewegung auch viele Menschen gibt, die sich freiberuflich als Trauerbegleitung ausbilden lassen. Natürlich für die Menschen, die jetzt auch in Trauer über einen Verstorbenen sind. Aber das auch zunehmend dieses Thema an Relevanz gewinnt, sich mit Menschen auseinander zu setzen, die gerade sterben. Auch ehrenamtlich. Aus Liebe zum Dienst am Menschen.

 

 

 

1) Salutogenese - Dachverband e.V. Bad Gandersheim. Homepage. Abgerufen am 10.01.2016

 

2) World Federation for Mental Health - Occoquan, VA 22125, USA. Homepage. Abgerufen am 10. 01.2016

 

3) Michael Zum Meyer Wischen: „Der Seele Tiefen zu ergründen …“. Robert Sommer (1864–1937) und das Konzept einer ganzheitlichen, erweiterten Psychiatrie. Dissertation. Universität Giessen. Giessen 1988

 

 

Interview mit Nadine Nguyen

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Sende-Manuskript

Interview (Radiofeature von Axel Gauster) mit Nadine Nguyen

in Herzogenrath/Deutschland Dezember 2015

 

 

O-Ton Nadine Nguyen:

Das Körperliche ist einfach: Macht man zu viel. Das heißt falsch gehoben, schwer gehoben. Oder hat man vielleicht auch einfach sich falsch bewegt. Dieser typische Hexenschuss. Wo körperlich die Muskulatur einfach nicht gut genug ausgelegt ist für die tägliche Bewegung. Oder für die Überbelastung.

 

Sprecher:

Sagt Nadine Nguyen von der PhysioEnergie. Ihr Thema: Ursachen von Rückenschmerzen. Theorie und ganzheitlicher Ansatz. Praktische Übungen im Sinne der Salutogenese1). Im Rahmen des Gesamtprojektes 'Arbeitswelt 2020' auf dieser Schulungsveranstaltung Dezember 2015 in Herzogenath, Deutschland. Zirka vierzig Prozent aller Deutschen hatten im Jahre 2014 Rückenschmerzen.2)3) Diese Zahl ist aber nur geschätzt. Der Anteil könnte noch höher liegen. Ursachen gibt es viele. Zentrale Bedeutung haben aber...

 

O-Ton Nadine Nguyen:

... das Seelische und das Psychische. Ist meistens immer der Fall. Was ganz oft Thema ist, ist das Burnout. Also wirklich Stressfaktoren. Wenn etwas sehr hektisch wird. Auch ein schlechter Tag einfach einmal Einfluß nehmen kann. Das man sagt: 'Ich bin nicht gut 'drauf und deswegen kann mein Körper etwas bestimmtes nicht leisten. Das heißt man ist abgeschlafft, müde, die Nerven spielen nicht mit. Und dadurch kann es auch zu Rückenproblemen kommen.

 

Sprecher:

Trotzdem ist es wichtig, die Ursachen genau heraus zu finden. Denn wie gesagt – von denen gibt es viele.Nadine Nguyen.

 

O-Ton Nadine Nguyen:

In diesem Sinne ist es ganz wichtig zu schauen: woran liegt es. Hat man Schmerzen, weil ich Stress habe? Oder habe ich Schmerzen, weil ich gerade zwanzig Kilogramm gehoben habe? Das muß man schon differenzieren.

 

Sprecher:

Also ist das Gebot der Stunde, mehr auf sich zu achten. Seelisch und körperlich. Das ist aber in der heutigen Lebens- und Arbeitswirklichkeit in den Pflegeberufen zum Beispiel leichter gesagt als getan.

 

O-Ton Nadine Nguyen:

Also da müßte sich schon an der Arbeitswelt auch einiges ändern. Also es ist wirklich so, daß man sagt: 'Die Zeit ist einfach zu kurz, um auf Beide zu achten.' Entweder geht der Patient oder Derjenige, der es ausführt. Aber Beides geht nicht. Das heißt die Pfleger stehen da ganz deutlich – würde ich sagen – oft im Hintergrund. Weil man ja schon versucht als Job – also die Meisten, die die Job machen, machen ihn mit Passion. Also alle die ich kenne, die leben dafür. Da ist es schon so, daß man auf sich eigentlich gar nicht mehr achtet. Und man arbeitet eigentlich nur noch für den Patienten. Und die Zeit reicht nicht aus. Und dadurch leidet natürlich irgendwann auch die Arbeit. Das man einfach sagt: 'Ich kann mir nicht die Zeit dafür nehmen, um rückengerecht zu arbeiten und ich kann auch irgendwann die Bewegung einfach nicht mehr ausführen.'

 

Sprecher:

Das ist ein Dilemma. Daher sind Konzepte wichtig, die helfen sollen, Rückenschmerzen gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Salutogenese. Also wo sind die gesund erhaltenden Dinge? Da gibt es zum Beispiel dieses kinästhetische Gesamtsystem oder Konzeptsystem. Das ist ja dieser ganzheitliche Ansatz. Was haben wir? Was können wir? Und wie ist die Umgebung? Nadine Nguyen.

 

O-Ton Nadine Nguyen:

Also beim Ganzheitlichen geht es ja immer darum, daß man wirklich darauf achtet: Wie man den Patienten bewegen kann. Was haben wir? Was können wir wirklich tun? Ganz konkret. Was haben wir vorliegen? Was ist das für ein Mensch? Was kann der gerade? Und versucht, ihn dann in dieser Bewegung zu begleiten. Das heißt: Man versucht eigentlich, ihn möglichst schonend und so, das er sich wohl fühlt, komplett zu bewegen.

 

Sprecher:

Die so genannte Kinästhetik4)5) ist die Lehre von den Bewegungsempfindungen. Wurde in den 1970er Jahren an der University of Wisconsin-Madison6) aus den USA entwickelt. Und ist vor allem in der Kranken- und Altenpflege von großer Bedeutung.

 

O-Ton Nadine Nguyen:

Man geht auf verschiedene Punkte ein. Wie das fließend ist. Also ich finde, wenn man Bewegung versucht fließend zu machen, hat man auch diesen ganzheitlichen Aspekt meistens drin. Man weiß selber: Wenn man sich stockend bewegen muß oder man hat dazwischen Schmerz – dann kommt es ja auch zur Stockung – dann ist es nicht fließend und dann wird es auch schwer. Wenn man versucht fließende Bewegungen zu machen oder eine Einheit zu schaffen, wird das Ganze auch rund und für den Patienten auch einfacher. Das ist das, was dieses Konzept auch aussagt: Man versucht, daß ineinander fließend zu bearbeiten und versucht, alle Punkte zu einer Aktivität zu bringen.

 

Sprecher:

Das ist natürlich eine Idealvorstellung. Es gibt Patienten, die können das einfach nicht. Sie haben doch hier gesagt: 'Achten sie auf sich, dann können sie den Patienten besser wahrnehmen.' Nadine Nguyen.

 

O-Ton Nadine Nguyen:

Man muß sich immer eine Baustelle nach der anderen vornehmen. Also wenn man sagt: 'Ich möchte zuerst auf mich achten und ich weiß, wo ich gerade stehe in der Arbeitswelt oder auch mit dem Patienten oder wo ich mich gerade befinde,wie ich mich fühle.' - Erst dann kann ich mich auch so gut wie ich es wirklich möchte um den Patienten kümmern. Und dann geht es auch im Prinzip gut weiter und man kann es mit gutem Gewissen dann auch ausführen.

 

Sprecher:

Eine Kernaussage aus diesem Konzept lautet: Nein sagen.

 

O-Ton Nadine Nguyen:

Das ist etwas, was man lernen muß.Was man aber auch kann und darf mittlerweile. Man vergißt es. Es ist ganz ganz wichtig, daß man sich irgendwann auch immer noch einmal erinnert: Es gibt dieses Wort Nein. Und kann auch einmal sagen: 'Ich kann das nicht und es ist auch nicht schlimm.' Man denkt immer zuerst: Man muß Leistung bringen. Natürlich müssen wir die auf irgendeine Art und Weise bringen. Aber wenn man irgendwo für sich merkt: 'Ich kann das nicht mehr mit gutem Gewissen vereinbaren', dann ist es an der Zeit, daß man sich auch die Zeit für sich nehmen sollte. Weil sonst stehen wir vor großen Problemen wie Burnout und so weiter und das es einfach nicht mehr funktioniert.

 

Sprecher:

Nun leben wir ja in einer sehr aufgeklärten, modern Zeit und Gesellschaft. Aber trotzdem scheint es ja nicht so zu sein, daß man mehr Rücksicht auf sich nimmt, in dem man auch fragt: 'Wie nehme ich mich wahr.' Was kann dieses Konzept bewirken?

 

O-Ton Nadine Nguyen:

Das Wahrnehmen auf sich selber muß man lernen. Und das ist – glaube ich – genau der Punkt, der da drin streckt. Das man angefangen hat, dieses Konzept gerade in den Pflegeberufen noch einmal aufzurütteln und sagt:' Es ist wichtig, daß man das noch einmal mitgibt. Weil es einfach durch diese Ganzheitlichkeit auch noch einmal bewußt macht: Man muß auf sich achten, um diese Ganzheitlichkeit überhaupt vermitteln zu können. Weil ansonsten geht ein Teil immer unter. Auch in dieser Schnell-Schnell-Gesellschaft muß man einfach lernen dann zu sagen: 'Es ist ganzheitlich und ich tue auch nur dem Ganzen etwas Gutes. Und ich bin ein Teil von diesem Ganzen.' Das man daran arbeitet und das dann verbindet.

 

Sprecher:

Feldenkrais7) – seit Jahrzehnten gibt es das. Ist das immer noch gültig? Ist das weiter entwickelt worden?

 

O-Ton Nadine Nguyen:

Weiter entwickelt ist es nur minimal. Es ist eigentlich so, daß man sagt:' Das Alte ist vollkommen richtig so wie es immer war.' Also man hat diese Theorien fast vergessen. Und man arbeiter daran, es noch einmal aufzurütteln. Weil gerade in dieser Schnell-Schnell-Gesellschaft, wo man nichts mehr warnimmt, Feldenkrais einfach gesagt hat: 'Wir müssen es erst wahrnehmen und spüren, um dann eine Veränderung zu schaffen. Ich glaube genau das ist der Punkt, warum es immer noch gültig ist.

 

Sprecher:

Die Feldenkrais-Methode ist ein körperorientiertes, pädagogisches Konzept, gegründet von Moshé Feldenkrais im Jahre 1949. Die Methode sagt, dass sich durch das lernen der kinästhetischen Selbstwahrnehmung die menschlichen Funktionen verbessern. Es lassen sich zum Beispiel Schmerzen verringern. Das führt ganz allgemein zu angenehmer empfundenen Bewegungen.

 

 

 

 

 

1) Salutogenese - Dachverband e.V. Bad Gandersheim. Homepage. Abgerufen am 10.01.2016

 

2) Rückenschmerzen Statistik Deutschland – Statistika. Hamburg 2016. Homepage. Abgerufen am 10.01.2016

 

3) Rückenschmerzen – Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Robert Koch-Institut (Hrsg). Heft 53. RKI, Berlin 2012. Homepage Statistisches Bundesamt Bonn. Abgerufen am 10.01.2016

 

4) I. Citron: Kinästhetik – Kommunikatives Bewegungslernen. Stuttgart 2004

 

5) F. Hatch, L. Maietta: Kinästhetik. Gesundheitsentwicklung und menschliche Funktionen. 2. Auflage. München 2003

 

6) University of Wisconsin-Madison - Madison, Wisconsin USA. Homepage. Abgerufen am 10.01.2016

 

7) Feldenkrais Verband Deutschland e.V. - FVD. München. Homepage. Abgerufen am 10.01.2016

 

 

Interview mit Dr. Christina Hermann

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Sende-Manuskript

Interview (Radiofeature von Axel Gauster) mit Dr. Christina Hermann

in Herzogenrath/Deutschland Dezember 2015

 

 

Sprecher:

Psychohygiene.1) Das klingt so antiseptisch.

 

O-Ton Dr. Christina Hermann:

Psychohygiene ist ein ganz normales Fachwort für Therapeuten. Dann weiß einfach jeder, was gemeint ist. Heißt – in Anführungsstrichen – ich halte meine Psyche sauber. Das hat aber nichts mit klinisch Rein zu tun. Weil die Psyche ist ein Etwas, was mit Reinheit als Desinfektion nichts zu tun hat. Der Ausdruck ist quasi unübersetzbar.

 

Sprecher:

Sagt Dr. Christina Hermann, Psychologin vom Nell-Breuning-Haus. Das Wort Psychohygiene wurde im Jahre 1900 von dem deutschen Psychiater Robert Sommer2) geprägt. Im Jahre 1896 gründete er die Psychiatrische Klinik Gießen. Ihr Thema: Psychohygiene - Stressoren in der Arbeit finden - Intervension, Supervision, kollegiale Beratung, Übungen im Rahmen des Gesamtprojektes 'Arbeitswelt 2020' auf dieser Schulungsveranstaltung Dezember 2015 in Herzogenath, Deutschland. Stress ist ein umfangreicher Bereich und kann viele Ursachen haben. Es fallen Begriffe wie Eustress und Distress.

 

O-Ton Dr. Christina Hermann:

Eustress ist so zu sagen die positive Variante von Stress. Da wo sich Erlebnis mit Bewältigung oder mit Ressource trifft. Also ich habe eine Aufgabe zu erfüllen und meine Ressourcen reichen aus und schaffen so zu sagen eine Balance zwischen Aufgabe und Ressource.

 

Sprecher:

Und der andere Begriff – der Distress. Was ist das?

 

O-Ton Dr. Christina Hermann:

Distress beginnt dort, wo Ressourcenseite so zu sagen nach unten fällt. Also wo ich zu wenig Ressourcen hätte, um meine Aufgabe zu bewältigen. Oder meine Aufgabe immer meine Ressourcen übersteigt. Dann beginnt der schädliche oder Distress.

 

Sprecher:

Gesundheit ist nicht das Gegenteil von Krankheit.

 

O-Ton Dr. Christina Hermann:

Ich würde ja meinen Körper und meine Psyche nicht wirklich wahrnehmen, wenn ich diesen Satz 'Gesundheit ist das Gegenteil von Krankheit' ernst nähme. Ich bin nie ganz gesund und ich bin nie ganz krank. Insofern kann es auch nicht das Gegenteil sein – das Eine vom Anderen. Und was für ein Model würde ich leben, wenn ich sagen würde – ich wäre nur krank. Dann kann ich auch in den Sarg steigen. Das ist Quatsch. Um ein gesundes Gesundheitsmodel zu entwickeln, muß ich eigentlich sagen: 'Ich kann ein wenig weniger gesund sein. Aber ich bin gesund.'

 

Sprecher:

In ihrem Thema geht es um Stress und die Folgen daraus. Zum Beispiel Burnout und nachfolgende Depressionen. Nun sagt die Weltgesundheitsorganisation WHO3)4), das im Jahre 2020 die psychischen Erkrankungen und Depressionen an erster Stelle aller Erkrankungen weltweit liegen werden. Und das trifft auch auf die pflegenden Berufe zu. Vielleicht sogar besonders stark, weil hier Menschen mit und für Menschen arbeiten. Es geht um Leben und Sterben. Warum dauert es denn so lange, bevor das Burnout als Erkrankungssystem wirklich anerkannt ist? Dr. Christina Hermann.

 

O-Ton Dr. Christina Hermann:

Das hat etwas damit zu tun, daß dieses Burnout-Phänomen an die Individuen zurückgegeben werden. Das heißt es wird zu einem individuellen Problem gemacht. Die Tatsache, daß es jetzt in aller Munde ist und auch – sage ich einmal – von prominenten Persönlichkeiten in aller Munde gebracht wurde, weil sie sich öffentlich geäußert haben oder weil sie sich suizidiert haben oder oder oder – macht es ja zunächst einmal noch nicht zu einem gesellschaftlich und vor allem arbeitgebertechnisch anerkannten Thema.Es wird dann spannend für die Kassen. Je mehr sie zahlen müssen, um so mehr Präventionsmöglichkeiten werden sie schaffen. Das ist der Kostenfaktor eines Burnouts. Das Schlimmer eigentlich daran ist, daß es noch immer zum Problem des Einzelnen gemacht wird. Und das die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer sich im Thema Burnout momentan noch nicht so treffen. Es sei denn es tritt eine übergrße Häufung auf und die Krankheitstage werden einfach so überdimensional hoch, daß ich nun zum Handeln gezwungen bin als Arbeitgeber.

 

Sprecher:

Stress ist nicht individuell, sondern ausgelöst durch die Arbeitsplätze. Man müsste die Arbeitsplätze an die Menschen anpassen und nicht umgekehrt. Das ist eine Forderung von Arbeitswissenschaftlern.

 

O-Ton Dr. Christina Hermann:

Das ist ganz sicher so. Aber da muß ich trotzdem sagen: Stress ist auch etwas Individuelles. Wenn ich permanent etwas anderes erwarte, als mir realistischerweise gegeben werden könnte, dann ist es mein Stress. Weil ich habe meine Erwartungen nicht realitätsgeprüft. Fertig. Das ist das Eine. Natürlich ist es schön, wenn die Arbeitsplätze individuell ausgerichtet würden. Fängt bei der Arbeitssicherheit an. Fängt beim Bürostuhl an. Fängt bei den Pausenräumen und so weiter an. Aber beide müssen zusammen kommen. Es ist immer individuell wie auch systemisch.

 

Sprecher:

Es gibt ja verschiedene Kommunikationsformen im Unternehmen. Es hat ja hier auch eine Folie dazu gegeben. Da wird sich der Arbeitgeber aber ziemlich schwer tun damit oder?

 

O-Ton Dr. Christina Hermann:

Der Arbeitgeber hat ja ein großes Interesse. Nämlich sein Unternehmen in irgend einer Form erfolgreich zu machen. Dieses Interesse wird ihn leiten. Die Schwachstellen wird er wahrscheinlich dann dort ausbügeln indem er mehr Gehalt verspricht. Oder indem er andere Betriebskultur möglich macht. Aber er handelt natürlich erst dann, wenn sein System den Zusammenbruch nahe ist oder wenn er sein System optimieren möchte. Insofern bin ich da nicht so schlechten Mutes.

 

Sprecher:

Die so genannte Salutogenese5) ist mittlerweile in den medizinischen Bereichen ein fest stehender Begriff. Es handelt sich dabei um die Frage, was einen Menschen gesund erhält. Also die Vorbeugung vor körperlichen und seelischen Erkrankungen. Und dieses Vorbeugen hat zum Teil jeder Mensch selbst in der Hand. Gesunde Lebensmittel, viel körperliche und geistige Bewegung, funktionierende Sozialkontakte, Freude an Arbeit und Leben sind Schlüsselbegriffe. Aber diese Salutogenese ist scheinbar auch in der Gesellschaft angekommen. Der Trend zu einem 'gesunden' Leben in einer 'gesunden' Umwelt ist längst keine Modeerscheinung mehr. Aber es noch nicht wirklich bei jedem einzelnen Menschen. Dr. Christina Hermann.

 

O-Ton Dr. Christina Hermann:

Der Eindruck stimmt. Wann das dann beim einzelen Indivium und jenseits aller Therapeuten und Co. Angekommen ist, das ist eine andere Geschichte.Aber in der Tat. Dieser salutogenesiche Wandel vollzieht sich eigentlich schon längere Zeit. Die Publikationen werden immer häufiger oder immer durchdringender, so daß alle davon etwas mehr mitbekommen. Der ist nicht jung der Begriff Salutogenese. Das muß man einfach sagen.

 

 

 

 

1) World Federation for Mental Health - Occoquan, VA 22125, USA. Homepage. Abgerufen am 10. 01.2016

 

2) Michael Zum Meyer Wischen: „Der Seele Tiefen zu ergründen …“. Robert Sommer (1864–1937) und das Konzept einer ganzheitlichen, erweiterten Psychiatrie. Dissertation. Universität Giessen. Giessen 1988

 

3) Weltgesundheitsorganisation - WHO. Regionalbüro Europa. Genf. Abgerufen am 10. 01.2016

 

4) Weltgesundheitsorganisation - WHO International. Genf. Abgerufen am Abgerufen am 10. 01.2016

 

5) Salutogenese - Dachverband e.V. Bad Gandersheim. Homepage. Abgerufen am 10.01.2016

 

Interview mit Norbert Heymann

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© Nell-Breuning-Haus, Herzogenath

 

Sende-Manuskript

Interview (Radiofeature von Axel Gauster) mit Norbert Heymann

in Herzogenrath/Deutschland Dezember 2015

 

 

Sprecher:

Warum ist im Abendland das Sterben heute immer noch mit einem Tabu belegt?

 

O-Ton Norbert Heymann:

Ich denke, dass wir als Menschen den positiven Wahn haben ewig zu leben. Und das ist gut und richtig so. Weil wir so unser Leben gestalten können und weil wir so kreativ sind. Und es ist nicht gut, ständig dann über das Sterben nachzudenken. Warum ist es tabuisiert? Ich glaube weil wir Angst haben vor dem Sterben. Weil es nicht in unsere Denkweise hinein passt. Weil es so endgültig ist. Und weil es mit so viel Schmerz und Trauer verbunden ist. Weil wir sind als Menschen einfach darauf angelegt zu leben.

 

Sprecher:

Sagt Norbert Heymann, Krankenhausseelsorger vom Bistum Aachen. Sein Thema: Umgang mit Leben und Sterben – Theorie, Praxis und Übungen zum persönlichen Umgang im Rahmen des Gesamtprojektes 'Arbeitswelt 2020' auf dieser Schulungsveranstaltung Dezember 2015 in Herzogenath, Deutschland. Man soll auch mit Zwanzig schon unter Umständen testamentatisch vorsorgen oder zumindest an dieses Thema denken.

 

O-Ton Norbert Heymann:

Ich glaube man vermiest sich nicht das Leben, sondern man nimmt war, daß der Tod ganz selbstverständlich dazu gehört. Ich habe – zum Beispiel – zwei Söhne. Und da war es immer selbstverständlich, wenn jemand gestorben ist aus der näheren Verwandtschaft, dann sind die mit zur Beerdigung gekommen. Und sie sind auch dabei gewesen, um sich bei den Verstorbenen zu verabschieden. Der Hans-Dieter Hüsch hat einmal gesagt: 'Beerdigen muß man üben.' Ich finde, daß ist ein toller Satz. Er dramatisiert es nicht. Aber es gehört einfach selbstverständlich dazu, daß Menschen sterben. Und das ich damit umgehen lerne. Je früher man damit anfängt, daß ganz selbstverständlich ist, daß es dazu gehört und kein Tabuthema ist, um so besser kann ich damit umgehen.

 

Sprecher:

Krankenhäuser sind ja zeitlich sehr eng getaktet. Wie gehen denn die pflegenden Menschen mit dem Thema Sterben und Tod in ihrem Berufsalltag um? Nobert Heymann.

 

O-Ton Norbert Heymann:

Auf den ganz normalen Stationen versuchen die Bedingungen zu schaffen, wo Menschen gut sterben können. Wenn es das so gibt. Und wo auch Angehörige gut begleitet werden. Das die eine hohe Sensibilität an den Tag legen.

 

Sprecher:

Das ist wichtig. Auch für die pflegenden Menschen. Das beugt nämlich seelischem Stress vor. Und der macht – wie bekannt – auf die Dauer krank. Im Sinne der Salutogenese geht es um ein Gleichgewicht zwischen professionellem Verhalten und Nähe zum Menschen.

 

O-Ton Norbert Heymann:

Ich erlebe das besonders zum Beispiel auf der Intensivstation. Wo man ja meinen sollte, da ist die Hightechmedizin, da gibt es keine Emotionen, da kommt es nicht auf das Menschliche an. Ich erlebe es genau umgekehrt: Das die Pflegenden sehr betroffen sind, sich sehr bemühen. Sehr gut versuchen, die Bedürfnisse der Patienten und auch der Angehörigen wahrzunehmen.

 

Sprecher:

Nun gibt es ja den Ort des Sterbezimmers. Was ist das denn genau? Norbert Heymann.

 

O-Ton Norbert Heymann:

Man hat einen Raum gewählt, der geeignet war, um diesen Toten aufzubahren.Das kann das Schlafzimmer gewesen sein, wo er gestorben ist. Das kann auch das Wohnzimmer sein. Ich habe es einmal in einer Familie erlebt. Da wurde der Eßtisch ausgefahren und dann wurde der Verstorbene darauf gelegt. Im Wohnzimmer. Und alle kamen dann dahin und setzten sich drum herum. Teilweise gibt es so Traditionen, daß da ganz ausgelassen gefeiert wird. Das ein Schnäppchen getrunken wird. Und der Tote ist mitten dabei. Und es ist gut, daß Menschen das so gestalten können. Und gucken können: Was ist für uns richtig und was ist in unserer Tradition richtig.

 

Sprecher:

Die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross1) beschreibt in ihrem Standardwerk 'Interviews mit Sterbenden'2) aus dem Jahre 1969 die fünf Sterbephasen eines Menschen. Ihre Erkenntnisse sind heute Grundlage der Hospizbewegung und der Palliativmedizin. Norbert Heymann

 

O-Ton Norbert Heymann:

Es ist immer noch gültig. Natürlich sind da Dinge dazu gekommen. Sind sie vielleicht ein bißchen auch abgeändert worden. Aber ich halte es immer noch – nach wie vor – für eine Grundlage. Und Dinge, die einmal richtig sind, werden ja nicht nur weil sie dreißig Jahre alt sind, irgendwann falsch. Ich halte diese Beobachtungen nach wie vor für unheimlich wertvoll und erhellend. Und ich nehme sie auch in meinem Alltag so wahr. Also man darf sie nicht als Gesetz sehen.

 

Sprecher:

In der Städteregion Aachen gibt es seit einiger Zeit die so genannte Vorsorgemappe. Darin auch eine Patientenverfügung. Und entsprechende nationale Gesetze über Sterbehilfe und Sterbebegleitung heben die Bedeutung dieses Dokumentes hervor.

 

O-Ton Norbert Heymann:

Es geht darum herauszufinden: Was ist der Wille des Patienten. Und wenn ich das in Ruhe schriftlich festhalte, dann hat der Arzt auch einen Anhaltspunkt und einen Leitfaden. Der ist sehr hilfreich. Ich erlebe das immer wieder, daß Ärzte danach fragen: 'Hat der denn eine Patientenverfügung?' Und wenn nein – es dem Patienten nahe gelegt wird, ob er das nicht machen will. Ich glaube die Scheu ist davor, daß es so eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sein könnte. Das heißt wenn ich jetzt so etwas mache, dann werde ich es auch bald brauchen. Und wenn man sich das bewußt macht, dann ist es vielleicht einfacher, sich wirklich damit auseinander zu setzen.

 

Sprecher:

Nun haben alle pflegenden Menschen täglich mit den Themen Leben und Sterben, Krankheit und Gesundheit, Freude und Trauer zu tun. Und sie als Krankenhausseelsorger sind da keine Ausnahme. Und die seelischen und körperlichen Belastungen in diesen Berufen sind ja bekannt. Wie halten sie sich gesund?

 

O-Ton Norbert Heymann:

Einmal indem sehr sorgfältig darauf achte, diese Balance zwischen Nähe und Distanz wahrzunehmen. Und ich glaube, daß kann man auch ein Stück lernen. Zwar persnlich dazu sein aber auch zu gucken, daß es nicht zu meiner Trauer wird. Es gibt so Untersuchungen in Amerika, das ist so eine Coping-Strategie. Man legt sich eine Schutzschicht an, damit nicht jede Emotion einen trifft. Das heißt nicht, daß ich gefühllos werde, sondern das ich mich selber schütze. Das ist notwendig. Es gibt natürlich Situationen, wo das durchschlagen wird. Dann muß ich gucken, daß ich da einen Ausgleich finde. Das ich mir etwas Gutes tue. Das ich Abstand gewinne. Es gab Situationen, wo ich´dann erst einmal eine Stunde nur durch die Stadt ging, um da etwas anderes in den Kopf zu kriegen. Es gibt Möglichkeiten der Supervision. Es gibt Möglichkeiten mit Kollegen zu sprechen. Und mein privates Umfeld ist einfach ganz wichtig. Das ich da ein Stück Entlastung finde. Auch wenn ich diese Dinge nicht unbedingt direkt mit einbringe. Aber ich merke es tut mir gut.

 

 

 

 

1) Elisabeth Kübler-Ross Foundation – Scottsdale, Arizona, USA. Homepage. Abgerufen am 10. 01.2016

 

2) Elisabeth Kübler-Ross: Interviews mit Sterbenden. Auf deutsch veröffentlicht im Jahre 1971. Aktuelle Ausgabe: München 2001. Originaltitel: On Death and Dying. Chicago, USA 1969

 

 

Interview mit Nobert Klein

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© Nell-Breuning-Haus, Herzogenrath

 

Sende-Manuskript

Interview (Radiofeature von Axel Gauster) mit Norbert Klein

in Herzogenrath/Deutschland Dezember 2015

 

 

O-Ton Norbert Klein:

Im Grunde geht es hier, in diesem Projekt, das ein Erasmus+1) - Projekt ist darum, mit Bildung psychosozialen Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Und es meint: Das wir Menschen, die in der Pflege arbeiten, vor allem in stationären Einrichtungen, mit Bildung stärken wollen, Strategien für sich selbst zu entwickeln. Wie sie psychosoziale Belastungen bewältigen können. Aber vor allem: Wie sie den Gesundheitsrisiken, die damit entstehen, vorbeugen können. Auf der anderen Seite wissen wir, das dies für viele Menschen im Alltag eine große Rolle spielt. Deswegen brauchen wir ein Fortbildungsinstrument dazu.

 

Sprecher:

Sagt Norbert Klein vom Europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen EZA. Er gibt einen Überblick über das Gesamtprojekt 'Arbeitswelt 2020' auf dieser Schulungsveranstaltung im Dezember 2015 in Herzogenath, Deutschland. Menschen aus Estland, Polen, Rumänien, Italien, Belgien und Deutschland sind versammelt.

 

O-Ton Norbert Klein:

Und gleichzeitig wollen wir aber für die Zukunft auch dieses Bildungselement in die Erstausbildung von Pflegekräften integrieren, damit solche Strategien von Beginn an erlernt werden können.

 

Sprecher:

Da müssen aber die anderen Akteure mitmachen. Gewerkschaften oder Unternehmensführungen zum Beispiel. Norbert Klein.

 

O-Ton Norbert Klein:

Gleichzeitig ist uns bewußt, dass diese Frage nicht nur eine Frage der Bildung ist, sondern eben auch bestimmte Rahmenbedingungen bedarf. Die eben gesetzt werden einerseits von den Tarifpartnern, von den Sozialpartnern, aber andererseits auch von der Politik.

 

Sprecher:

Sprich in berufliche Ausbildungspläne, Gesetze für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Regional und überregional, national und auf europäischer Ebene.

 

O-Ton Norbert Klein:

Aus der Kenntnis der Situation von Pflegekräften und ihren Bildungsbedürfnissen in Hinsicht auf die Bewältigung und der Vorbeugung psychosozialer Gesundheitsrisiken heraus wollen wir auch Empfehlungen entwickeln, damit diejenigen, die im Bereich der Tarifverträge und der Politik Verantwortung tragen, das Richtige tuen.

 

Sprecher:

Nun sind in allen Berufen die psychischen und sozialen Belastungen sehr hoch. Der so genannte Fortschritt ist eben keine Schnecke mehr und die Menschen spüren das. Warum hat sich das Projekt Arbeitwelt 2020 Pflege- und Gesundheitsjobs ausgesucht. Norbert Klein.

 

O-Ton Norbert Klein:

Aus europäischer Perspektive wird dieser Bereich als einer der Sektoren angesehen, in dem in Zukunft ein hohes Arbeitsplatzpotenzial entstehen kann. Das findet sich so in der Strategie 'Europa 2020', 2)3) in dem dieser Sektor neben den Berufen in der Umwelttechnologie und insgesamt im Informations- und Telekommunikationsbereich als einer der größten Jobschaffer gesehen werden kann.

 

Sprecher:

Es werden also immer mehr Menschen gebraucht, die in den pflegenden und medizinischen Berufen zu Hause sind. Und das hat auch mit den so genannten 'alternden Gesellschaften' zu tun. Der Wohlstand und der medizinische Fortschritt lassen viele Menschen immer älter werden. Das ist gut so. Aber ein hohes Lebensalter schützt nicht vor Krankheit oder den seelischen und körperlichen Einschränkungen. Norbert Klein.

 

O-Ton Norbert Klein:

Der andere Bereich ist, daß wir eine demographische Entwicklung in vielen Ländern Europas haben, die in der Tat vermuten lassen, daß dieser Bereich eine zunehmend stärkere Rolle spielen wird. Auch für viele Menschen. Aber vor allem für die dort arbeitenden Beschäftigen.

 

Sprecher:

Nun sagt die Weltgesundheitsorganisation WHO4)5), das im Jahre 2020 die psychischen Erkrankungen und Depressionen an erster Stelle aller Erkrankungen weltweit liegen werden. Und das trifft auch auf die pflegenden Berufe zu. Vielleicht sogar besonders stark, weil hier Menschen mit und für Menschen arbeiten. Es geht um Leben und Sterben.

 

O-Ton Norbert Klein:

Es gibt eben sehr hohe und tiefgreifende psychosoziale Belastungen in dieser Tätigkeit.Die zu weit reichenden Gesundheitsfolgen für die Beschäftigen und große Langzeiterkrankungen führen können. Und deshalb erscheint es uns hier besonders wichtig zu handeln.

 

Sprecher:

Die Menschen kümmern sich um kranke Menschen, aber sind selber auch belastet. Gesundheitschutz in der Arbeitswelt.

 

O-Ton Norbert Klein:

Ich bin sehr erfreut darüber und es hat mich sehr überrascht, auch jetzt hier bei der Teilnehmervorstellung zu sehen, daß tatsächlich die Mehrzahl Derjenigen, die hier an der Schulungsmaßnahme teilnehmen, Pflegekräfte sind. Die in der überwiegend Altenpflege auch tätig sind. Also direkt Betroffene. Deswegen werden wir sicherlich auch viel von diesen Beschäftigen lernen können über das, wie sich Pflege in den einzelnen Ländern tatsächlich manifestiert. Und wo wir vielleicht auch noch einmal bei weiteren Schulungsmaßnahmen vertiefend ansetzen müssen.

 

Sprecher:

Die Runde besteht aber nicht nur aus ArbeitnehmerInnen. Auch ArbeitgeberInnen sind vertreten. Zum Beispiel Menschen, die...

 

O-Ton Norbert Klein:

... Pflegedienste leiten oder eben in anderer Weise verantwortlich sind für die Arbeit der konkret Beschäftigen. So daß sie auch als Muliplikatoren dienen können, um das was sie hier selbst vielleicht für sich erlernen, auch noch einmal in ihren Einrichtungenweitergeben zu können.

 

Sprecher:

Und es geht auch darum, ein Bewußtsein für dieses Thema zu schaffen. Bei allen Beteiligten. Norbert Klein.

 

O-Ton Norbert Klein:

Wichtig ist uns vor allem, daß Pflegekräfte eine sehr sehr harte Tätigkeit haben. Wir stellen ja auch in vielen Ländern fest, daß dieser Beruf unter einem Fachkräftemangel leidet. Das kommt nicht von Ungefähr. Das mag an der Bezahlung liegen. Das mag aber auch an der Schwere dieses Berufes liegen. Gleichzeitig wissen wir, daß die allermeisten Pflegekräfte hoch motiviert sind. Und auch aus unserer Befragung haben wir erfahren, daß die allermeisten der Befragten ihren Beruf bis zur Rente durchführen möchten.

 

Sprecher:

Die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit sind bekanntlich längst erreicht. Da ist das Erreichen des Rentenalters für die Menschen in harten Berufen oftmals nur ein schöner Traum. Norbert Klein.

 

O-Ton Norbert Klein:

Wenn sie eben gesundheitlich angeschlagen sind, werden sie das nicht können. Deswegen ist es um so wichtiger, allen bewußt zu machen, daß die Grenze menschlicher Arbeit erschöpft sein kann. Und das es deswegen um so wichtiger ist mit dieser menschlichen Ressource sehr sehr sorgfältig umzugehen.

 

 

 

1) Erasmus+ - EU-Programm für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend, Sport 2014-2020. Europäischen Kommission. Homepage. Brüssel 2014. Abgerufen am 10.1.2016.

 

2) EUROPA 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum. Wirtschaftsprogramm der Europäischen Kommission. Homepage. Brüssel 2010. Abgerufen am 10.01.2016.

 

3) Quelle: MITTEILUNG DER KOMMISSION: EUROPA 2020

Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum. Brüssel 2010. 40 Seiten. Format: Pdf

 

4) Weltgesundheitsorganisation - WHO. Regionalbüro Europa. Genf. Abgerufen am 10. 01.2016

 

5) Weltgesundheitsorganisation - WHO International. Genf. Abgerufen am Abgerufen am 10. 01.2016